Zum Nachdenken
Zahlen finden sich überall …
Und doch sind sie meistens nicht zu sehen.
■ „Mathe ist blöd!“
Das alte Regal aus der Studentenzeit hat ausgedient – wie hoch, wie breit soll die neue Wohnwand werden?
Auswärtsspiel: die gesamte Mannschaft ist beim Treffpunkt, aber nur 3 Eltern sind mit ihrem Auto gekommen …
„Noch die paar Kleiderhaken anschrauben!“ … aber bitte gleichmäßig unter der Hutablage verteilt!
Die Zutatenliste ist für 2 Personen … „Wir sind heute abend aber zu fünft!“
Eine Mutter schaut in den Küchenschrank und denkt: „Acht … da fehlen zwei!“ Kurze Zeit später schaut ihr Kind in den gleichen Schrank und freut sich: „Hier sind die Tassen … meine ist da hinten!“ Gleich kommt der Besuch – reichen die Tassen? Die Mutter in Unruhe: „Nein!“ Und das Kind? „Na klar!“
Schon hier lässt sich eine Form von Rechensschwäche vermuten. Zumindest, wenn das Kind schon etwas länger zur Schule geht. Denn: Das Kind hat viele Tassen gesehen und seine eigene entdeckt – also alles in bester Ordnung … was hat der Familienbesuch schon mit Rechnen zu tun?
Die große Kunst des Rechnenlernens ist die Fähigkeit, Zahlen selber entstehen zu lassen. Durch Zählen! Und die Absicht, dadurch etwas zu erfahren …
„Aber Zählen ist doch verboten?! … Meine Lehrerin meckert immer, wenn ich zähle“
Viele Grundschulkinder behalten ihre Finger am Körper, wenn sie unüberschaubar viele Dinge auf dem Tisch nachzählen sollen – Logisch: Sie sollen schließlich nicht mehr mit den Fingern zählen!!! Denn das gibt irgendwann richtig Ärger. Aber meinen Kind und Lehrer dasselbe, wenn von Finger-Zählen die Rede ist?
Eine tragische Entwicklung zeichnet sich ab: Einerseits zählen Kinder nichts mehr, was um sie herum steht, liegt und verbraucht wird … Wie viele Stühle habt ihr im Wohnzimmer? „Keine Ahnung.“ Wie viele Tore hat deine Mannschaft schon geschossen? „Keine Ahnung.“ Wie viele Brötchen esst ihr am Sonntagmorgen? „Keine Ahnung.“ Wie viele Tage wart ihr am Meer? „Äh …“ Andererseits nehmen genau diese Kinder ständig die Finger zuhilfe, wenn es „über den Zehner geht“. Komisch? Was soll man folglich tun, wenn das Kind beim Rechnen schon wieder die Finger unter dem Tisch arbeiten lässt, obwohl es sonst nichts mehr zählen mag? Und:
Warum wissen viele Mädchen nicht einmal, wie viele Stofftiere sie haben? Was glauben Sie?
Oder muss man näher ran, um Zahlen zu erkennen?
■ Zahlverständnis
Wer beim Rechnen nach wie vor zählt, hat das Geheimnis der Zahlen noch nicht gelüftet … Er wird nicht fehlerfrei rechnen lernen können! Da helfen auch keine Zählstrategien, die selbst manche Lerntherapeutinnen mit viel Zeitaufwand ihren Schülern antrainieren wollen. Verwiesen wird dabei von Fachleuten stets auf den „fehlenden Kardinalzahlbegriff“. Auch Zahlgefühl genannt. Ist dieser gewonnen, kann sich das Kind von den Fingern lösen. Weil es endlich die Logik der Zahlen versteht. Doch wie gewinnt ein Kind diesen Begriff, den Kardinalzahlbegriff?
Rechnen ist weit mehr als „plus, minus, mal, geteilt“ …
Und Rechnen ist mehr als verliebte Zahlen zu trainieren, die Kraft der 10 zu spüren, buntes Material zu verschieben, 1×1-Reihen auswendig zu wissen, Zahlenfelder abzulaufen, schriftliche Rechentechniken anzuwenden, Regeln zu lernen oder mit der Null rumzutricksen, Kommata zu verschieben und kleine Einsen zu merken.
Die meisten Schüler beherrschen das … auch ohne Kardinalzahlbegriff. Und doch verstehen sie oft nur wenig, wenn sie auf die weiterführende Schule wechseln.
10 ⋅ 15,7 = 15,70
„Das ist leicht … einfach nur die Null ranhängen!“
Der neue TV-Monitor wird für 119 € weniger verkauft: „Da spart man über hundert Prozent!“
450g Nutella für 1,79 €, 1 kg für 4,49 € … „Die großen Packungen sind vom Preis her immer günstiger, sagt Papa. Ich nehme lieber das große Glas, ist ja auch im Sonderangebot. Außerdem ist da mehr drin.“
Sind diese Antworten für die 6. Klasse ausreichend?
Und warum sind Preise meistens „ungerade“?
Und warum werden Gummibärchen und Schokoriegel immer wieder in anderen Gewichtsgrößen angeboten (z.B. 87 g-Tafel, 175 g-Tüte oder 332 g-Packung) ? Weil man mit diesen Zahlen besser rechnen kann? Welcher Vergleich wird hier anscheinend erschwert? Oder lassen sich die Verpackungen nicht mehr anders herstellen?
Lehrerin: „Ihr Kind hat immer noch nicht die Strukturen der Zahlen begriffen!“
■ Der Blick hinter die Zahlen
Was sich hinter Zahlen und Rechentechniken wirklich verbirgt, bleibt nicht selten in der Schule unsichtbar … aber die Schüler starren wie gebannt auf Tafel, Buch und Heft! Neuerdings auch auf das Smartboard … Demnächst auf’s iPad. Und sie verzweifeln. Warum?
Weil sie eine Brille brauchen? Weil sie nur auf die Zahlen starren anstatt dahinter zu blicken? Oder doch weil sie zu doof sind? Ist Rechenschwäche eine neue Volkskrankheit?
Mutter: „Äh, ich weiß jetzt selbst auch nicht so genau, was Sie mit Strukturen meinen?“
Lerntherapeuten verweisen gerne auf die Definition der WHO (siehe Für Lehrer …), nach der sich das Problem nicht auf mangelnde Intelligenz oder falsche Beschulung zurückführen ließe.
Aber … Worauf dann?
I.d.R. heißt es dann „Entwicklungsverzögerung des mathematischen Denkens“ – Was aber ist mathematisches Denken? Und wieso verzögert?
■ Brauchen Sie bei Ihrem Kind nur warten, bis es endlich da ist? Wie beim Flugzeug, dessen Landung sich verspätet? „Nur noch eine Warteschleife … dann kann unsere Tochter das!“
■ Wo und wie wird es gelernt, mathematisch zu denken, wenn es in der Schule nicht gelungen ist?
■ Wie geht es weiter, wenn das Kind in der vierten Klasse daran zu scheitern droht, nicht mathematisch denken zu können?
■ Mit welcher Begründung werden die mathematischen Leistungen einer ganzen Generation kontinuierlich schlechter, obwohl die Wissenschaft wie verrückt forscht und testet, die Schulbuchverlage und Lernmaterialhersteller jedes Jahr neues (aber doch stets verbessertes) Lernmaterial bereitstellen?
■ Sind die Bücher nicht bunt, das Material nicht alternativ genug?
■ Brauchen wir mehr Computer? Mehr Vergleichsstudien? Mehr Tests?
Jede Menge offene Fragen!
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